Ich bin zu spät dran. Oder vielleicht knapp noch pünktlich. Fahrrad abschliessen, reinhasten, Blick auf die Uhr. Ich bin doch zu spät. Es ist zwei nach. Da kann ich noch, ohne gross zu stören, hereinspazieren. Es herrscht das mir vertraute Chaos:

Armin versucht zu verhindern, dass Stelios und Jan am gleichen Tisch sitzen – sonst kann sich niemand mehr konzentrieren. Währenddessen erklärt Leo unserem armen Trainer, dass er heute sehr gerne die Steinitz-Variante üben würde. Seine Schwester Hannah wäre jetzt zufrieden, wenn sie einfach gegen Rebecca spielen dürfte. Darf sie nicht. Zuerst wird im Heft gearbeitet. Robin seufzt als er das hört. Darauf hat er jetzt grad gar keine Lust und sowieso wo soll er sich denn hinsetzen. Mein Vater kämpft mit Kaviyan gegen einen Tisch. Die Dinger stellen sich halt nicht von allein auf. Bevor die Tischplatte noch eines der Schachtalente erdrückt, helfe ich da aus. So entsteht ein Arbeitsplatz für unseren Tischler Kaviyan, den Seufzer Robin und auch Ilankiran, der sich in sein Heft vertieft. Nicht ganz ohne Stolz, denn er ist am weitesten von allen. Am anderen Ende des Spektrums befindet sich Sophia. Sie kommt erst seit einigen Wochen, aber jedes Mal mit einem selbstbewussten Lächeln, als wäre sie schon seit der Vereinsgründung dabei. Sie hat noch kein Heft. Das ist auch kein Problem. Rico soll gegen Sophia spielen und ihre Grossmutter gegen Hans-Peter.

An diesem Tisch ist jetzt der Altersdurchschnitt verdächtig hoch für ein Juniorentraining. Ich habe jedoch keine Zeit, das weiter zu hinterfragen. Saran hat schon eine Frage und Prashanth und Sanchi zeichnen etwas in den Heftern des jeweils anderen – nicht ganz die Idee dieser Übung.

Während wir Polizisten, Schlichter, Diplomaten, Motivationstrainer und Schachexperten mimen, besprechen Andrea, Armin und ich den weiteren Schlachtplan. Simultan? Endspielübung? Oder doch einfach nur spielen? Irgendwo schlägt Bastian noch Tandemschach vor. Schlechte Idee, gäbe nur Krach, machen wir nicht. Also Simultan.

Stelios hat sich jetzt doch noch zu Jan gesellt.

«Ihr macht noch beide zwei Aufgaben und dann spielt ihr gegen mich.»

Jan möchte lieber gegen Robin spielen. Darf er.

Stelios ist jedoch heiss auf den Kampf gegen mich. Seit er mich mit einem Grundlinienmatt erwischte, hat er Blut geleckt. Eh’ ich’s mir jedoch anders überlegen kann, sitzen mir ein Halbdutzend kampfeslustige Gesichter gegenüber. Nochmals die Regeln erklären:

«Erst ziehen, wenn ich euch gegenüberstehe, überlegt aber wenn ich weg bin trotzdem. Und auf gar keinen Fall redet ihr mit eurem Nachbarn.»

Mein ausdrücklicher Befehl wird für knappe drei Runden befolgt. Ungefähr dann muss ich mich auch das erste Mal richtig konzentrieren. Jetzt hat mich Leo doch tatsächlich mit der Steinitz-Variante erwischt. Doch ich zahle es ihm mit einer fiesen Taktik zurück. Die Junioren bringen mich an meine spielerischen Grenzen.

Armin macht den Schiedsrichter, aber auch den Berater meiner Gegner. Ein paar der Partien kann ich trotzdem gewinnen. Es hilft, dass ich sie dazu zwinge aufzugeben, wenn sie gehen müssen. Das führt jedoch nicht zur Entlastung, denn Armin wechselt einfach die Erwachsenen ein. Gegen Philipp und Julia kann ich mir dann eigentlich keine Fehler mehr erlauben. Ich mache sie trotzdem und verliere. Endlich leert sich mein Gegnerfeld.

Viele von ihnen gehen als strahlende Sieger. Ich will schon gehen, da fragt mich Armin, ob ich noch ein Blitz spielen will. So runde ich den Abend mit zwei Niederlagen ab.  

Jonathan